Wenn die Angst mit im Sattel sitzt - Ängste beim Reiten verstehen und überwinden

Ein Beitrag von Insa Schülzke | Zentrum für mentale Stärke im Reitsport

Angst beim Reiten haben so viele, weil es einfach ein Sport ist, bei dem du dich auf ein lebendiges Wesen verlassen musst. Pferde sind nun mal Fluchttiere, und wenn sie plötzlich reagieren, fühlt sich das schnell unsicher an – vor allem, wenn du schon mal eine unangenehme Erfahrung gemacht hast.
Dazu kommt, dass wir Reiter oft ziemlich hohe Ansprüche an uns selbst haben. Wir wollen alles richtig machen im Umgang beim Pferd. Und dann gibt's ja auch noch die ganzen äußeren Einflüsse – was Trainer sagen, was andere am Stall denken oder was man vielleicht schon mal an Angst aus anderen Lebensbereichen mit sich rumschleppt.
Auch ziehen sich manche Ängste schon mal durch das ganze Leben und im Umgang mit dem Pferd kommen diese Ängste hoch.
Deshalb haben auch so viele Reiter mit Ängsten zu kämpfen.

Die gute Nachricht: Man kann daran arbeiten, und du als Reiter bist dem nicht hilflos ausgeliefert! Es kann übrigens jeden betreffen sowohl den Freizeitreiter als auch den Berufsreiter und den Turnierreiter.

Welche typischen Ängste haben Reiter und wie äußern sie sich?

Die häufigsten Ängste sind die Angst vor Kontrollverlust, Stürzen oder davor, dem Pferd nicht gerecht zu werden.

Aber auch

soziale Ängste, wie sich vor anderen zu blamieren, sich alleingelassen zu fühlen, kritisiert zu werden oder Fehler zu machen
Phobien, z.B. vor Geschwindigkeit, Galopp, Höhe, Wind oder durch Erzählungen Dritter z.B. "Ich glaube, da draußen bewegt sich etwas"
Generalisierte Ängste: Was mache ich wenn der Traktor kommt oder der Nachbarshund bellend zum Zaun rennt oder der Rasenmäher,…? Und schon startet das Kopfkino oder Gedankenkarusell, weil du vielleicht einer Situation zu viel Bedeutung beipflichtest und ernsthaft Konsequenzen befürchtest. Aber auch Glaubenssätze wie z.B. "Ich habe wenig Vertrauen in mich selbst", "Ich kann das nicht", "Ich bin nicht gut genug" oder "Ich verliere die Kontrolle"
Prüfungsangst, diese Angst tritt häufig auf in Verbindung mit sozialen Ängsten auf, wenn die Leistung durch Dritte (z.B. Turnier, Kurse) bewertet wird oder wenn man sich mit anderen vergleicht

… können eine Rolle spielen.

Die Angst zeigt sich dann in Verspannung, Zittern, flacher Atmung, Unsicherheit oder sogar in totaler Blockade – sei es körperlich oder mental.
Doch nicht jeder empfindet Angst gleich stark. Bei dem einen bringt ein kleiner Hopser des Pferdes zur Seite weil es sich erschreckt hat nur ein müdes Lächeln hervor, während ein anderer direkt in Panik verfällt, das Kopfkino startet sich Horrorszenarien ausmalt was alles passieren könnte obwohl das Pferd schon wieder ruhig steht.

Wie beeinflusst Angst die Kommunikation zwischen Reiter und Pferd?

Pferde sind unglaublich feinfühlig und spiegeln unsere Emotionen. Wenn du ängstlich bist, wirst du unbewusst anders sitzen, dich verkrampfen oder zögerlich handeln – und dein Pferd merkt das sofort. Oft führt das dazu, dass es selbst unsicher wird oder anders reagiert als erwartet. So entsteht ein Teufelskreis: Deine Angst verstärkt die Reaktion des Pferdes, was wiederum deine Angst verstärkt.
Sobald das Pferd spürt, dass "mein Leittier der Mensch" Angst hat, folgt das Pferd seinem Beispiel und wählt die Reaktion auf Angst, die seinem Naturell entspricht. Entweder Flucht oder Erstarren, Steigen oder Bocken, um mit dem "Gefürchteten" auf Abstand zu gehen. Dieses macht dem Menschen noch mehr Angst, er wird noch unruhiger und unsicherer, was dann für das Pferd als Beweis gilt, dass die Situation wirklich gefährlich ist und reagiert seinerseits weiter. Dieses Verhalten wiederum beweist dem Menschen, dass so eine Situation schwierig zu meistern und gefährlich ist. Dieser Kreislauf ist unendlich und kann nur von uns als Mensch unterbrochen werden.

Warum ist es so wichtig, die eigene Angst zu verstehen, um sie zu überwinden?

Weil Angst nicht einfach "wegtrainiert" werden kann. Wenn du nicht verstehst, woher sie kommt und was sie dir sagen will, wird sie immer wieder auftauchen – oft in den ungünstigsten Momenten. Erst wenn du deine Angst akzeptierst und ihre Ursache erkennst, kannst du sie wirklich loslassen und aktiv daran arbeiten, sie in positive Energie umzuwandeln.

Welche ersten Schritte helfen, wieder mehr Vertrauen in sich und das Pferd zu gewinnen?

Der erste Schritt ist, ehrlich zu sich selbst zu sein und bereit zu sein an sich zu arbeiten und die Schuld nicht nur beim Pferd zu suchen. Dann solltest du herausfinden, wovor du genau Angst hast.
Als nächstes geht es darum, kleine, machbare Ziele zu setzen und positive Erfahrungen zu sammeln. Sicherheit und Routine sind dabei essenziell. Übungen am Boden, Atemtechniken oder bewusstes, entspanntes Reiten in einer kontrollierten Umgebung helfen, das Vertrauen Stück für Stück zurückzugewinnen.
Wenn die Angst jedoch zu tief liegt z.B. auf einer Skala von 1-10 größer als eine 7, helfen in der Regel einfache Techniken wie singen, summen und atmen, nicht mehr. Du kannst dir das in dem Moment wie ein Pflaster auf einer Wunde vorstellen. Doch wenn die Wunde zu groß ist oder man das Pflaster wieder abnimmt ist alles wieder da. Da hilft dann nur noch eine professionelle Unterstützung.

Welche Rolle spielt die mentale Einstellung beim angstfreien Reiten?

Eine riesige Rolle! Dein Kopf entscheidet, ob du dich sicher fühlst oder nicht. Wenn du immer wieder negative Gedanken hast ("Was, wenn mein Pferd durchgeht?"), sendet dein Körper Stresssignale aus. Eine positive innere Haltung, mentale Bilder von Sicherheit und Erfolg, aber auch eine klare Selbstführung machen einen enormen Unterschied.

Wie kann man sich gezielt auf angstauslösende Situationen vorbereiten?

Visualisiere vor dem Reiten, wie du ruhig und sicher mit deinem Pferd unterwegs bist. Dein Gehirn kann nicht unterscheiden, ob du etwas wirklich erlebst oder dir nur vorstellst – also nutze das zu deinem Vorteil!
Wenn du dich regelmäßig auch mental auf Herausforderungen vorbereitest, wirst du auch in der Realität ruhig bleiben. Praktische Übungen wie Notfallstrategien (was mache ich, wenn...), bewusste Atmung oder kleine Erfolgsschritte helfen zusätzlich.

Was können Reiter tun, wenn sie trotz Training immer wieder Angst verspüren?

Wichtig ist, nicht frustriert zu sein – Angst verschwindet nicht von heute auf morgen. Manchmal bedarf es einer tieferen Arbeit an den eigenen Glaubenssätzen oder einer anderen Herangehensweise. Vielleicht ist das Training nicht das Richtige für dich, oder du setzt dich zu sehr unter Druck. In solchen Fällen kann es helfen, neue Wege auszuprobieren, mit einem Mental- und Emotionscoach zu arbeiten oder sich bewusst Pausen zu gönnen.

Wie kann ein Trainer oder Coach dabei helfen, Ängste nachhaltig zu bewältigen?

Ein guter Reittrainer kann dir helfen, Sicherheit in deiner Technik zu gewinnen, dir klare Strukturen geben und dich in deinem Können bestärken. Oft reicht das schon, um Unsicherheiten abzubauen, weil du dich durch das Training kompetenter fühlst und dein Vertrauen wächst. Aber manchmal stößt auch der beste Reitunterricht an seine Grenzen – nämlich dann, wenn die Angst tiefer sitzt und nicht nur mit besserem Reiten zu lösen ist.
Ein Mental- und Emotionscoach kommt dann ins Spiel, wenn du merkst, dass deine Angst dich immer wieder blockiert, egal wie gut du reitest oder trainierst. Wenn du dich zum Beispiel schon vor dem Stallbesuch unwohl fühlst, dein Herz rast, sobald du nur an bestimmte Situationen denkst, oder du dich selbst immer wieder sabotierst ("Ich schaffe das sowieso nicht"), dann steckt meist mehr dahinter.
Ein Mental- und Emotionscoach hilft dir, die Ursachen deiner Angst zu verstehen, dein Mindset zu verändern und Strategien zu entwickeln, die dir langfristig Sicherheit geben – nicht nur im Sattel, sondern auch im Kopf. Und genau da liegt der Unterschied: Während ein Reitlehrer dich in deiner Technik unterstützt, sorgt ein Coach dafür, dass du dich mental und emotional wirklich wohlfühlst. Die Kombination aus beidem ist oft der Schlüssel zum angstfreien Reiten!

Welche langfristigen Strategien gibt es, um angstfrei und selbstbewusst zu reiten?

Langfristig geht es darum, eine stabile innere Sicherheit und Selbstbewusstsein aufzubauen. Dazu gehören regelmäßiges, stressfreies Training, mentale Techniken, ein bewusster Umgang mit deinen Gedanken und Emotionen und vor allem Geduld mit dir selbst. Wer sein Selbstvertrauen stetig stärkt, sich realistische Ziele setzt und lernt, auf sein Bauchgefühl zu hören, wird nicht nur angstfrei, sondern auch mit Freude reiten können.

Autorin: Insa Schülzke | Zentrum für mentale Stärke im Reitsport

www.insa-schuelzke.de

Insa Schülzke / My Horse Experts

Bilder: Insa Schülzke

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